Farben sind für alle da. Oder: Mitmeinen ist Kindergarten

Hier mal ein kleines Gedankenexperiment. Stellt euch einen Kindergarten voller kleiner Menschen vor, die dort fröhlich herumwuseln. Die Erzieherinnen kündigen an: „Heute machen wir was ganz Tolles – und dafür brauchen wir eure Hilfe.“ Alle sind ganz aufgeregt und freuen sich, die Kinder möchten unbedingt mitmachen. „Heute machen wir Experimente mit Farben! Dafür wollen wir Eiswürfel aus buntem Wasser herstellen. Wir brauchen als erstes ein paar Jungs, die dabei helfen möchten!“ Viele Hände fliegen nach oben, aber es gibt auch einige enttäuschte Gesichter. Ein paar Kinder äußern ihren Unmut. Die Erzieherinnen gehen aber nicht darauf ein. „Perfekt. Und dann wollen wir durch Strohhalme pusten und Wasserfarben ineinanderlaufen lassen. Wer von den Jungs möchte dabei mitmachen?“ Wieder melden sich viele Freiwillige, aber ein kleines Mädchen hat jetzt genug. „Was ist denn mit uns? Wir können das genauso gut! Wir wollen auch mitmachen!“ Eine der Erzieherinnen runzelt die Stirn, sie versteht die ganze Aufregung gar nicht. „Aber das könnt ihr doch. Ihr seid doch mitgemeint! Ihr könnt euch doch denken, dass ihr genauso mitmachen könnt.“

Ich hoffe sehr, dass es in einem Kindergarten zu einer solchen Szene niemals kommen würde. Dort sollen nämlich alle die Chance haben, sich einzubringen. Unsere Sprache bietet uns Möglichkeiten, alle anzusprechen. Warum sollten wir sie nicht nutzen? Wenn in einer Stellenanzeige ein Betriebsleiter gesucht wird – wie viele Frauen oder nicht-binäre Personen fühlen sich davon angesprochen? Warum nicht einfach die „Betriebsleitung“ daraus machen? Wenn in Kinderbüchern, Serien und Filmen immer bloß von Ärzten, Piloten und Feuerwehrmännern die Rede ist, fällt es Mädchen erwiesenermaßen schwer, sich diese Berufe auch für sich vorzustellen. Und wenn ich in einem Text über einen Kindergarten automatisch nur von Erzieherinnen schreibe, trage ich ein kleines Stück dazu bei, dass der Anteil der Männer, die in Deutschland in der Kindertagesbetreuung tätig sind, immer noch relativ gering ausfällt (1. März 2021: 7,4 %). Wer hat’s beim Lesen bemerkt?

Sprache schafft Realität. Natürlich gibt es viele andere Probleme, die wir unbedingt lösen sollten, und sehr viel mehr Sorgen, die wir uns machen müssen. Aber wir brechen uns doch keinen Zacken aus der Krone, wenn wir einen Perspektivwechsel zumindest in Betracht ziehen. Wenn wir unsere Sprache überdenken und uns bemühen, sorgsamer mit ihr umzugehen, damit alle sich angesprochen fühlen. Und nicht nur mitgemeint. Ich bin mir sicher, dass wir dabei nur gewinnen können. Qualifizierte Mitarbeitende zum Beispiel. Oder Kinder, die alles sein können, was sie sich wünschen. Und davon sollte sich in meinen Augen niemand bedroht fühlen.

Es ist ein Prozess: Ich selbst stoße beim Texten auch immer wieder an Grenzen, ich mache garantiert nicht alles „richtig“, auch in diesem Text hier wird es Formulierungen und Passagen geben, die zumindest diskussionswürdig sind. Ich glaube dennoch: Der Weg ist das Ziel.

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